2012 · Der ganz normale Wahnsinn (im Oktober wieder in Oberhausen)

Wegen des großen Erfolges und der großen Freude gibt es auch noch Impressionen der Wahnsinns-Wiederholungs-Tournee vom 20. Oktober 2012 (geschrieben direkt nach Rückkehr zu einem guten Glas Wein):

Ein Ausnahmeabend. Sommerliche Temperaturen (23°C im Schatten). In Oberhausen!

Für mich als Exil-Rheinländer begann der Abend besonders erfrischend. Auf die Frage, wo es denn, also "linksherum" oder "rechtsherum" im halbrunden Foyer der "König-Pilsener-Arena" das bessere Bier gäbe, antwortet die junge Dame vom Gästeservice: "In Köln!" Okay, das lasse ich gerne gelten (sorry, Düsseldorf).

Gerne trifft man Bekannte wieder, und so seien von hier Lars, Susanne, Rainer, Stephan, Heike u. v. a. m. herzlich gegrüßt. Diese kleinen Familientreffen geben den Konzerten eine besonders schöne Note.

Der etwas verspätete Beginn tat der Stimmung keinen Abbruch, man hatte sich schon in der zu zwei Drittel verkauften Arena im (auch rhythmischen) Applaudieren geübt. Nach 30 Minuten Piano-Paintings, Udo Jürgens macht da quasi seine eigene Vorgruppe (vom Band), ging es dann los: "Noch drei Minuten ..." – und schon nach zwei Minuten stehende Ovationen.

Bereits mit der ersten gesungenen Silbe war allen klar. Das wird kein guter Abend, das wird ein sehr guter Abend! (Wir erinnern uns an die von einem grippalen Infekt gezeichnete Tournee im Winter/Frühjahr 2012).

Im Publikum waren wieder alle Generationen vertreten: Diejenigen, die die ersten Tourneen der 1960er Jahre erleben durften, diejenigen, die seit drei Jahrzehnten, drei Jahren oder heute erstmals dabei waren. Mir fielen eine Reihe von Familienausflügen im Publikum auf und zur Pause besonders der etwa 12-Jährige, seinen Papa besorgt fragend: "Spielt er denn auch die alten Lieder?” (gemeint waren offenkundig die aus der Zeit vor 1980). Da sah ich mich selbst im Spiegel der Zeit anno 1980 in der Kölner Sporthalle ...

Udo Jürgens zeigte sich von der allerersten bis zu allerletzten Sekunde gut drauf, top-fit und fehlerfrei sowie bei bester Stimme, tragfähig und präzise. Er tänzelte leichtfüßig über die Bühne (besonders im zweiten Teil), als sei er gerade allenfalls 60 (und nicht drei mal 25 + 3) geworden.

Es war ein Konzert der sogenannten "Wiederholungstournee", und so gab es tatsächlich dasselbe Programm wie im Winter/Frühjahr 2012. UJ erzählte kurz und knapp das eine und das andere zwischen den Stücken. Die Violinsolistin wurde noch mitten in "Glut und Eis" wortreich gelobt, bei "Der ganz normale Wahnsinn" und "Mein Bruder ist ein Maler" gab es ein paar neue, teils aktuellere Illustrationen zu sehen.

Offenbar wurde ein bißchen am Arrangement von "Fly with me / Flieg mit mir" geändert, denn diesmal klang es sehr passend in der Kombination von "The Voices" mit "Fly with me" und Udo Jürgens' "Flieg mit mir".

Scheinbar achtlos entgegen genommene Blumen kommentierte UJ dahingehend, daß "hinter jeder Blume ein Mensch" stehe und er dies genau wisse, auch wenn der Konzertablauf nicht immer eine ausreichende Würdigung zuließe. Das "geklaute" Einstecktuch wurde rasch durch ein neues ersetzt – eine Szene, bei der man sich nicht fragt, ob, sondern wann sie kommt. Davon abgesehen nahm UJ nach der Pause sehr oft die Gelegenheit war, am vordersten Bühnenrand zu agieren und Hände zu schütteln.

Am Ende der ersten Hälfte gab es unverändert die Filmmusik zu "Der Mann mit dem Fagott". Mag man sich auch etwas Neues gewünscht haben, so muß man anerkennen, dass der Film gerade erst ein Jahr alt ist, mit dem gleichnamigen Buch UJ sehr persönlich sehr wichtig ist und zwischenzeitlich einige renommierte Preise erhielt sowie im MoMA New York gezeigt wurde. Also konnte man, im letzten Viertel unstrittig vom Orchester live musiziert, den Film noch einmal auf der Großbildleinwand hinterm Orchester Revue passieren lassen.

Nach der Pause durften sich einige glücklich schätzen, die Sitzplätze geändert zu haben, um so von dort an dem ein Lied früher als erwartet einsetzenden Bühnensturm teilhaben zu können. Wie immer, erfahren und gesittet vonstatten gegangen. Man kennt sich aus!

Die Stimmung dort vor der Bühne war dann ganz hervorragend, nicht zuletzt, weil auch die Pepe-Lienhard-Band ihrer Spielfreude Ausdruck verlieh: Da gab es ungeplante Gesangseinlagen und spontane Choreographien, einen bestgelaunten Peter Lübke am Schlagwerk und selbst Oliver Keller meinte man, so etwas wie Spaß anmerken zu können (wer Gitarristen kennt, weiß, daß das eher introvertierte Wesen sind). Erfreulicherweise hatte zur zweiten Hälfte jemand das Mischpult verstellt – in die richtige Richtung (weniger Bässe, mehr Gesang).

Trotz "Wiederholung" also keinerlei "Ermüdung"!

Beim Abschlußmedley im Bademantel gab es dann statt "Schenk mir noch eine Stunde" (was zu schön gewesen wäre, nicht das Lied, sondern eine ganze Stunde mehr Udo Jürgens) noch einen halben "Griechischen Wein" (nach "Cottonfields”), was auch sehr bewegend war. Mit "Merci Chérie" und dem Versprechen "Wir sehen uns wieder" im Anschluß an "Kommen Sie gut nach Hause und bleiben Sie gesund", jedoch ohne Bühnen-Autogramme und etwas grob insistierend vom "Gästeservice" gedrängt, ging's dann irgendwann nach Hause.

(Getränke- und Pommesstand vor der Arena hatten freundlicherweise in eine UJ-CD investiert, so daß man dort noch ein wenig "Nachsingen" konnte.)

Mehr Fotos und Eindrücke

Mehr von meinen Fotos gibt es  hier zu sehen ...

Die erste Textfassung hatte ich seinerzeit auf  udofan.com veröffentlicht, der sich dort weitere Beiträge anschlossen.

Tonträger

Am 30. November 2012 erschien bei Ariola/Sony Music eine vollständige Live-Aufzeichnung der Tourneekonzerte vom 26./27. Oktober 2012 aus Neu-Ulm und München, die dokumentiert, wie überragend gut Udo Jürgens und das Orchester Pepe Lienhard sich und die Musik präsentiert haben. Selten hat man Udo Jürgens live bei so guter Stimme in Erinnerung!

"Keine Angst vor großen Gefühlen"

Peter Szymaniak schreibt in der Ausgabe der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung vom 22. Oktober 2012:

»Begeistert mit toller Stimme, tröstenden Alltagsphilosophien und Charme: Udo Jürgens in der Arena

Oberhausen. Wenn Männer in ihrer Lebensmitte um die 50 plötzlich Ängste entwickeln, alt zu werden, dann sei ihnen der Besuch eines gut zweistündigen Konzerts des letzten großen deutschen Entertainers, des 78-jährigen Erfolgskomponisten und Sängers Udo Jürgens, empfohlen.

Volle dunkle Stimme, volles dunkles Haar – er tänzelt am Samstagabend leichtfüßig auf der Arena-Bühne, er streichelt die Hände vieler Frauen, er sprüht vor Energie: Da geht noch ganz viel.

Mit Alltagsphilosophien
Der früher oft zu Unrecht in die Schlager-Ecke gestellte Jürgens wärmt 6000 Zuschauern am Samstag mit einer Musikshow im US-amerikanischen Stil Ohren und Herz: Lila angestrahlter Theater-Vorhang, das glasklar spielende 20-köpfige Big-Band-Orchester Pepe Lienhard, die ausgezeichneten Jazzstimmen "The Voices" als Hintergrund-Chor – beeindruckend und einzigartig in Deutschland.
Und dazwischen kleine Alltagsphilosophien für die Seele: "Menschen brauchen Menschen", "Glaub an Deine Kraft", "Keine Angst vor Gegenwind, sonst kann man nicht fliegen", "Die Liebe ist das größte Gefühl, zu dem Menschen fähig sind" – Jürgens hat keine Angst vor Pathos und der Nähe zu Kitsch. Was bei anderen wie dürftige Plattheiten klingen würde, nimmt man dem Sänger als Lebensweisheiten ab. Das ist Kunst.
So glaubt man Jürgens gerne, wenn er sagt, bei ihm stelle sich trotz seiner jahrzehntelangen Tour-Erfahrung keine Routine ein ("Das ist immer mit Herz und Seele"). Und wie er sich galant entschuldigt, wenn er Geschenke am Bühnenrand entgegennimmt: "Ich eile dann immer zum Klavier, das sieht so aus, als ob ich schnell weglaufe, doch ich weiß: Hinter jeder Blume steht ein Mensch."

Rauschender Beifall und - na klar - das Bademantel-Finale
Bei seiner Liedauswahl dominieren die Stücke aus dem letzten Album "Der ganz normale Wahnsinn". Ältere Lieder wie "Glut und Eis" sowie Ausschnitte aus dem Film "Der Mann mit dem Fagott" nach seiner Biographie und mit seiner Filmmusik gehören zu den Höhepunkten des Konzerts.
Und natürlich fehlen seine Hits nicht, wobei auffällt: Bei allem swingenden Sound sind die Texte immer wieder überraschend zeitkritisch. Über die totale Überwachung ("Du bist durchschaut"), die Einsamkeit des Zuwanderers ("Griechischer Wein"), die Doppelmoral ("Ehrenwertes Haus"), die Verdenglischung der deutschen Sprache ("Alles ist so easy").
Langanhaltender Beifall am Konzertende mit Bademantel-Finale. Na klar.«

Quelle (nicht mehr verfügbar)