Filmpremiere "Der Mann mit dem Fagott" 2011 in Köln
Tja, das war dann die Überraschung des Abends am 19. September 2011: Die Zusage von Udo Jürgens Family für die kurzfristig anberaumte Filmpremiere in Köln am Tag darauf, nur etwa eine Autostunde von zu Hause. "Wir wünschen eine unvergessliche Sternstunde mit Udo Jürgens in Köln” hieß es in der begleitenden E-Mail (ja, das ging alles übers Internet). Am Ende waren es dann fast acht Stunden.
"Der Mann mit dem Fagott” – ein 700-Seiten-Roman von Udo Jürgens und Michaela Moritz, erschienen 2004 zum 70. Geburtstag von Udo Jürgens. Er schildert zahlreiche Abschnitte aus dem Leben der Familie Bockelmann: Der Großvater emigriert 1891 von Bremen nach Moskau, wird dort reicher Bankier, muß in den Wirren des 1. Weltkrieges und der Revolution mitsamt Familie fliehen. Man landet schließlich in Österreich (Kärnten), diesmal mit den Eltern von Udo Jürgens und ihm selbst als Kind im Mittelpunkt des Geschehens, und kurz darauf findet man sich in Kriegswirren und Nationalsozialismus wieder. Schließlich Udo Jürgens’ erste Jahre als Liebhaber und Musiker auf dem schwierigen Weg zum Erfolg, der sich dann Mitte/Ende der 1960er Jahre auch endlich und dauerhaft einstellt.
Wer mehr wissen will, lese das Buch. Oder sehe den Film!
Schnell reifte bei Udo Jürgens die Idee, die Familiengeschichte sei filmreif, und so kommt die Verfilmung als Zweiteiler am 29. und 30. September 2011, zu Udo Jürgens’ 77. Geburtstag, ins Fernsehen. Im Rahmen der Marketingkampagne gibt es eine Hand voll exklusiver Kinopremieren der zwei mal 100 Filmminuten in Anwesenheit der wichtigsten Darsteller und Hauptpersonen.
In Köln wurde dafür das im Stadtteil Ehrenfeld gelegene Programmkino CINENOVA ausgesucht, welches mit familiärer Häuslichkeit einen sehr angenehmen und übersichtlichen Rahmen für die Premierengäste bot – etwa zwei Dutzend Filmprominenz, Alfred Biolek und schätzungsweise 200 Udo-Jürgens-Fans aus Nah und Fern, die sich alle sehr kurzfristig Zeit für das Event genommen hatten und geduldig auf das Eintreffen ihrer Stars warteten, die dann allerdings zunächst im Blitzlichtgewitter von Film und Presse untergingen. Das zog vorüber und einem insgesamt sehr beschaulichen, wirklich familiären Abend stand nichts mehr im Wege. Hätte nicht ohnehin jedermann und jedefrau frohe Erwartungen und gute Laune mitgebracht, die erfrischende Herzlichkeit der Familie Jürgens und der Hauptdarsteller und -personen des Films hätte alleine schon gereicht, Sonne in die Herzen zu bringen. Aber natürlich ging alles sehr professionell und irgendwie entspannt zu. Ein kleines Buffet und Getränke auf Kosten des Hauses sorgten für das Notwendigste, und dann — auf in Kinosaal 1!
Zum Film nur soviel oder sowenig: Nicht alle 700 Buchseiten sind in Bilder umgesetzt. Aber es fehlt nichts wirklich – das Filmteam hat es geschafft, in den ausgewählten Szenen inklusive der Zeitsprünge der Vorlage die Essenz des Buches – also der Bockelmann’schen Familiengeschichte - zu erfassen und ganz hervorragend in Bilder umzusetzen. Mit Mut zu langen Szenen und Geschichten, Tragik, Drama, Frohsinn, Unbeschwertheit, Glück und Leid nicht auslassend. Augen- und Ohrenschmaus, die hohe Kunst des Film(en)s.
Die Leistung der Schauspieler ist verblüffend: Sitzt man noch im Film, oder ist es Wirklichkeit? Am Ende bleiben vielleicht Großvater Bockelmann (Christian Berkel) und der 10-jährige Jürgen Udo Bockelmann (Alexander Kalodikis) in lebhaftester Erinnerung sowie verblüffend authentisch David Rott als Udo Jürgens in den 1950er/60er Jahren – ohne die darstellerische Leistung aller Übrigen schmälern zu wollen.
Der Film ist beinahe zu schade für’s Fernsehen – so intensiv in der Wirkung, so lange Szenen und Einstellungen, doch keine Sekunde zu lang, sehr passende Filmmusik (auf Basis des Songs "Der Mann mit dem Fagott” von Udo Jürgens selbst geschrieben) von sehr guten Musikern eingespielt. Udo Jürgens selbst singt "seine” alten Lieder noch einmal neu ein, wobei die Technik etwas nachhilft, den richtigen Zeitgeist zu treffen. Man kann und darf, nein: muß, lachen und weinen. Anschauen lohnt sich! Wer nicht auf TV-Wiederholungen warten will, kaufe die DVD oder Blue-Ray Disc. Udo Jürgens-Fan zu sein ist dafür absolut kein Muß.
Rätsel
Als Ratespiel für eingefleischte Fans und Kenner sei erwähnt, dass der Film (beide Teile) insgesamt drei gravierende historische Fehler enthält (die zwar den Gesamteindruck nicht schmälern, davon aber doch mindestens zwei dem Kenner weh tun).*
ARD
Die ARD sendet freundlicherweise immer mal wieder Wiederholungen und hält weiterhin einige Informationen zum Film bereit ➜ hier klicken & gucken.
In einem RTL-Fernsehinterview sagte Udo Jürgens u. a.:
"Ich habe kein Geheimnis. Musik. Ich lebe gern, ich musiziere gern, und akzeptiere es, daß man auch älter wird, und das ist nicht immer leicht – gebe ich zu –, aber es ist so, und wenn man Lebensfreude in sich hat, bewältigt man auch diese Aufgabe.” – "Ich bin unheimlich glücklich, daß das immer noch so weiter geht, daß ich immer noch die Chance habe, Konzerte zu geben. Das alles hätte ich mir früher gar nicht vorgestellt. Es kommt ja auch wieder eine ➜ Tournee Anfang nächsten Jahres. Daß ich ein so ungewöhnliches Leben führen kann, hätte ich mir früher nicht erträumt.”
* Lösung des Rätsels: 1. Modernes Fagott, 2. Was ich dir sagen will (1961), 3. Udo Jürgen Bockelmann