2014 · Mitten im Leben im Dezember in Wien
Wien ist immer eine Reise wert.
Anfang Dezember 2014 war es eine besondere Reise: Udo Jürgens und ich, wir “trafen” uns am 5. Dezember 2014 in der Wiener Stadthalle. Er sang und spielte auf der Bühne, ich lauschte und schaute vom Saal aus zu.
Aufgeschrieben am 7. Dezember 2014 im Café Leopold Hawelka, 1. Bezirk, Wien.
Wien im Dezember. Das kann eine gute Jahreszeit sein, wenn der Himmel blau, die Wolken fern und die Sonne gut gelaunt sind. Es kann aber auch einfach schäbig nass-kalt sein. So war es am Freitag, den 5. Dezember 2014.
Wie gut, dass einen in einer solchen Situation die Wiener Stadthalle wohlig-warm empfängt, das Personal freundlich ist und man unaufgefordert bis zum Platz geleitet wird, auch wenn es nur die zweitbeste Platzkategorie in der zehnten Reihe (immerhin Parkett) ist. Wo man dann auf k. u. k.-Klappstühlen (= kurz und knapp) doch recht bequem und nah vor der Bühne Platz nimmt. Man erspäht sofort “übliche Verdächtige” (hat das Ticketsystem einen “NRW-Fanblock” vorgesehen?), aber auch Freddy Burger mit Frau und in Begleitung von Dagmar Koller.
Es ist der vorletzte Abend dieser Herbst-Tournee, kurz nach dem 80. Geburtstag von Udo Jürgens, und er beginnt recht pünktlich um kurz nach halb acht mit dem Refrain von “Aber bitte mit Sahne” als Piano-Painting, an das sich nahtlos das richtige Opening anschließt.
Zusammenfassung
Udo Jürgens fliegt mit behender Leichtigkeit und dem selbst gebauten Drachen auf einer Welle aus Sympathie und Begeisterung durch die Wiener Stadthalle
Fazit
Gegen 'Wien' war 'Düsseldorf' ein müdes Vorspiel.
Doch der Reihe nach ...
Auf eine Wiederholung von bereits Gesagtem will ich verzichten. Stattdessen gebe ich hier meine unmittelbaren Eindrücke aus dem Konzert und dem noch lebhaft präsenten Vergleich mit Düsseldorf einen Monat zuvor wieder.
Orchester: In Top-Form. Zwar war 'Tausend Jahre sind ein Tag' nicht immer ganz synchron. Doch sonst gab es nur professionelle Bestleistungen zu bestaunen. Kent Stetler kann tatsächlich singen und spontan sein ("I like to sing Udo Jürgens Tune"). Pepe Lienhard ist total entspannt bis enthemmt an diesem vorletzten Abend der Tournee. Und Jörg Sandmeier mag zwar besser aussehen als sein Nachfolger Alex Hendriksen, musikalisch wünsche ich ihn mir hingegen nicht zurück.
Natürlich singt Udo Jürgens alles live, kommt beim Text aber nur drei mal etwas durcheinander. Sein Klavierspiel war etwas leise abgemischt, doch was man hörte, war präzise und bedarfsweise locker improvisiert. Seine persönliche Choreografie bei den Liedern, wo er am Klavier sitzt, aber nur singt, war nun deutlich stimmiger. Wie überhaupt das ganze Bühnengeschehen merklich ausgereifter wirkte. So hinterlassen vier Wochen Tournee deutliche Spuren – deutlich angenehme Spuren.
Auch Jürgens’ Stimme hatte sich in der Zwischenzeit deutlich stabilisiert, und er selbst wirkte tatsächlich um nicht wenige Jahre jünger als noch einen Monat zuvor. Merklich entspannter, lockerer, risikofreudiger übrigens auch.
So geht das also zu, bei den ganz Großen des Showbusiness!
Im ersten Teil war das deplatzierte Medley 'Die Sonne und Du / Jeder so, wie er mag' gegen die Geschichte vom 'Gekauften Drachen' (die wir, so UJ, alle kennen) ersetzt. Man darf gegen das Lied wohl einwenden, es sei schon zu oft gespielt worden. Thematisch passte es aber sehr gut in den ersten Teil. Und dass UJ dessen Botschaft besonders am (oder im) Herzen liegt, bewies dann diese ungemein frische, intensive Darbietung, die alle vorherigen vergessen machen konnte und auch in den höchsten Höhen sicher und überzeugend daherkam.
Was auch für die anderen Titel aus der ersten Hälfte zu sagen wäre. So wie vieles aus seinem Schaffen seit Jahrzehnten Gültigkeit für sich beanspruchen darf, so beansprucht Jürgens erklärtermaßen für sich, sich auch heute noch über Aktuelles Gedanken zu machen und diese musikalisch als Lieder für das Volk (Volkslieder) in Konzerten vorzutragen. Mögen die Kritiker auch anmerken, dass erst mit den alten Hits im zweiten Teil das Konzert so richtig gezündet habe – der erste Teil sei ihm eigentlich wichtiger.
Dass das Konzert in Österreich, Wien, stattfand, gab ihm den erwarteten besonderen Reiz. Bei seinen Lebensstationen, die während des Openings eingeblendet wurden, und in Österreich zu verorten waren, brandete spontan Beifall auf (speziell ganz zu Beginn 'Klagenfurt'). Beim finalen Ort 'Wien' gab es dann gar kein Halten mehr und scheinbar nicht enden wollende stehende Ovationen. Und auch sonst überraschte das Publikum mit Spontaneität —
— diesmal war ich nach 'Ich bin dafür' nicht der einzige, der aufstand. Und auch vor der Pause gab es für 'Die Krone der Schöpfung' einen langen Sturm aus Begeisterung und Anerkennung. · Auch Jürgens selbst war sichtlich gerührt, nach so vielen Jahrzehnten wieder in Wien auf der Bühne zu stehen, und erinnerte ausführlich an seine ersten Gehversuche in den 1950er Jahren im Volksgarten mit dem Orchester Johannes Fehring.
Jürgens zeigte sich von Beginn an sicher, locker, selbstironisch, stimmlich bestens disponiert. Die Zwischenmoderationen hatte er im Verlauf der Tournee eben diesem sowie dem Auftrittsort angepasst. 'Die Krone der Schöpfung' war so nicht mehr Kritik an der katholischen Kirche, sondern an der Sorglosigkeit der Menschheit. Zudem flocht er die Entstehungsgeschichte mit seinem übermütigen Brief an Herbert von Karajan ein, der ihn ermutigte, diesen dritten Satz seiner Trilogie mit den Philharmonikern einzuspielen ("Berliner" hat er nicht gesagt, war ja in Wien). Besuche am Bühnenrand verbat er sich ausdrücklich anlässlich eines ersten zaghaften Versuchs, denn das störe den Konzertablauf, sei für die anderen Besucher langweilig und fordere seine Konzentration in einer Weise, was man ihm als jungem Menschen nicht zumuten könne. In Ermangelung der Ein-Mann-Demonstrationen in Österreich erfuhr man vom 'Mann, der das Problem ist' nur kurz, dass darin jede Zeile wahr sei. Und schwupps waren 80 Minuten kurzweilig vorüber.
Schade, wirklich schade, dass so viele Zuschauer und Zuschauerinnen es nicht erwarten können, bis im zweiten Teil “endlich” die Party vor der Bühne losgeht. Irgendwie liegt da schon von den ersten Takten an so eine Unruhe in der Luft, kaum spürbar, aber sie verhindert doch die sorgfältig choreografierte Spannung und Stimmung. Denn mit den Titeln ’Ich würd’ es wieder tun’ gleich nach dem Opening und der reduzierten Version von ‘Griechischer Wein’ wäre doch soviel Gelegenheit für Besinnung und Nachdenken gegeben.
Aber nein! Tausend Augenpaare sind nur darauf aus, wer wagt es, wer traut sich, wer läuft zuerst? Was machen die Saalordner? Wo sind die Wege? Erreiche ich die allererste Reihe Mitte, steht auch niemand zu Großes vor mir? Werden meine Nachbarn wenn schon dann auch richtig mitsingen?
Das ist nicht fair den Künstlern auf der Bühne gegenüber, und unverschämt, respektlos und schandhaft ist es, wenn es gegen deren ausrücklichen Willen passiert. Beim Fußball gibt es Stadionverbote ...
Hört, ihr Bühnenstürmer, lasst Euch gesagt sein: Wie schön kann ein Stehplatz in der zehnten Sitzreihe sein!
Im zweiten Teil gab es dann drei Änderungen gegenüber Düsseldorf: Der 'Griechische Wein' wurde vor ’Ich war noch niemals in New York’ eingeschenkt, folgte also auf 'Tausend Jahre sind ein Tag'; einige hundert "Fans" ignorierten die freundlich, bestimmt und ausführlich von UJ selbst vorgetragene Bitte, erst danach zur Bühne zu kommen. Das quittierte er mit deutlichem Missfallen, und mir schien, er wäre kurz davor gewesen, das Lied abzubrechen.
Die vordersten Bühnenstürmer wurden dann auch weitgehend von ihm ignoriert, auch wenn das Schild "Danke UDO ganz einfach froh, dass es dich gibt" unübersehbar aus der zweiten Stehplatzreihe bühnenmittig mehr als oft hochgehalten wurde und es sogar bis auf die Hintergrundprojektion schaffte.
Zum zweiten wurde das 60er-Jahre-Medley durch 'Merry Christmas' ersetzt, was mit großem Zuspruch aufgenommen wurde (Jürgens schien es ohne Texthilfe locker fehlerfrei bewältigt zu haben). Das Medley vermisste wohl niemand wirklich. · Drittens gab es im Bademantelfinale anschließend keine 'Liebe ohne Leiden', sondern — 'Wien', was kaum anders zu erwarten war und beifälligst begrüßt wurde. Alleine deswegen hat sich die Reise gelohnt!
Ganz fix gab es dann noch schnell den Kostümwechsel (ohne dududududu, nur Applaus, in gerade einmal anderthalb Minuten bewältigt) und das Finale mit 'Zehn nach Elf'. Wegen der landestypisch früheren Anfangszeit allerdings schon um halb elf.
Sollte es meine letzte Gelegenheit gewesen sein, ein Konzert von Udo Jürgens zu besuchen — es war die bis dahin beste Gelegenheit. Nach meinem persönlichen Höhepunkt in Düsseldorf (erste Reihe, Blumen überreicht) einen Monat zuvor war dies nun der atmosphärische Höhepunkt nach beachtlichen 34 Jahren Tournee-Besuchen.
DANKE.
P. S.
Am nächsten Mittag Freddy Burger am Graben im 1. Bezirk zu treffen (inmitten einer völlig überfüllten Stadt), kann kein Zufall gewesen sein und war es doch. So habe ich mich bei ihm spontan für diesen Abend bedankt und unbekannterweise schöne Grüße ausrichten lassen.
Fotoalbum
Die Fotos aus Wien verdanke ich auch Susanne Pfeifer, die mit der Verwendung hier freundlicherweise einverstanden ist.
Eine größere Auswahl an Fotos dieses Konzertes gibt es in meinem ➜ Google-Fotoalbum zu sehen.